Für manche Hundebesitzer völlig harmlos und normal, für andere ein absolutes Tabu.Aber was stimmt denn nun? Und vor allem WARUM?Tatsächlich scheint sich in Sachen „Sozialkontakt an der Leine“ inzwischen einiges in den Köpfen verändert zu haben.Früher habe ich bei Spaziergängen überwiegend Hundebesitzer getroffen, die scheinbar noch nie etwas davon gehört hatten, dass der Leinenkontakt nicht gut sein soll.Wenn ich heute auf Hundebesitzer treffe, die ihren Hund an der Leine zu meinem lassen möchten, antworten sie auf mein freundliches „Ach bitte nicht an der Leine…“ meist mit einem „Ja, das weiß ich, das soll man eigentlich nicht.“EIGENTLICH.Ha! Da haben wir ja den Übeltäter…Wer nicht weiß, WARUM er etwas tun oder lassen sollte, der wird es auch nicht konsequent befolgen. Zur konsequenten Umsetzung ist zudem nötig, dass man mit den Gründen einverstanden ist und diese einem selbst wichtig genug sind.Und genau aus diesem Grund fasse ich hier für dich in Kürze die wichtigsten PRO und CONTRAS des Sozialkontakts an der Leine zusammen:
1. Dein Hund zieht an der Leine
Hand aufs Herz: Welcher Sozialkontakt an der Leine findet denn an lockerer entspannter Leine statt? Richtig! So gut wie keiner… Du bringst deinem Hund in dieser Situation also bei, dass es nicht nur völlig ok ist an der Leine zu ziehen, sondern dass es sich sogar so richtig lohnt.Und woher soll dein Hund jetzt wissen, dass zu dem einen Hund hinziehen völlig in Ordnung ist, er das aber beim nächsten Hund oder in der nächsten Situation plötzlich nicht darf?
2. Verletzungsgefahr
Allein schon das Ziehen an der Leine oder auch Hineinspringen in die Leine ist für den Hundekörper (und je nach Größe des Hundes auch für den Menschen) nicht das Gesündeste. Tatsächlich entsteht in der Kommunikation mit einem anderen Hund jedoch zudem schnell mal ein richtiges Leinenchaos und dann schwups – ist die Leine um ein Beinchen geschlungen oder schneidet irgendwo ein und verursacht Schmerzen oder gar eine Verletzung.Das ist eine Ursache, warum es dabei leider ganz schnell zu einer Fehlverknüpfung kommen kann. Denn dein Hund kann meist nicht zuordnen „Ach, das war nur die blöde Leine…“, sondern behält stattdessen in Erinnerung, dass der Kontakt mit dem anderen Hund schmerzhaft war. Und er wird vielleicht sogar in der Situation entsprechend darauf reagieren (z.B. mit Verwarnen, Abschnappen, etc.) – was wiederum für den anderen Hund überhaupt nicht nachvollziehbar ist.Zudem beeinflusst die Leine die Kommunikation der Hunde weitaus mehr, als man vielleicht auf den ersten Blick denkt…
3. Hundekommunikation
Wenn du deinen Hund mit anderen Hunden ohne Leine kommunizieren siehst, wird schon klar, warum das an der Leine nicht gut möglich ist. Im Rahmen der Leine zu kommunizieren schränkt deinen Hund massiv ein. Die Möglichkeit zum Rückzug wird ihm durch die Leine genommen, dein Hund ist also gezwungen sich mit dem anderen Hund auseinander zu setzen – und das auch noch unter erschwerten Bedingungen.Wenn die Handlungsmöglichkeiten mit deeskalierendem Verhalten also eingeschränkt sind, zeigt dein Hund im Zweifelsfall natürlich auch schneller aggressives Verhalten als Lösung. Hier liegt eine Ursache der Leinenaggression und häufig höre ich Aussagen wie:„…und sie hatten sich noch so nett beschnüffelt und mit dem Schwanz gewedelt und auf einmal, ganz plötzlich, gab es riesen Theater!“An dieser Stelle muss ich auch kurz erwähnen, was viele inzwischen wissen, aber in so einigen Köpfen (weil wir es bereits im Kleinkindalter leider so lernen) noch falsch abgespeichert ist:Schwanzwedeln ist kein Zeichen von Freude! Schwanzwedeln zeigt lediglich, dass dein Hund in Erregung bzw. Aufregung ist. Das kann aus Freude sein, das kann aber ebenso z.B. aus Unsicherheit und in Verbindung mit negativen Emotionen sein…
4. Wer führt hier wen?
Du möchtest, dass dein Hund sich von dir auch in schwierigen Situationen führen lässt? Dass er dir vertraut? Dass er an deiner Seite entspannt ist, auch wenn euch ein anderer Hund begegnet? Dann solltest du deinen Hund nicht nur an der Leine FÜHREN, sondern auch VERANTWORTUNG für ihn übernehmen – und diese nicht automatisch abgeben nur weil ein anderer Hund auftaucht. Wie soll er sich denn dann auf dich verlassen?VERTRAUEN & SICHERHEITSBEREICH LEINE: Um auch in Begegnungssituation entspannt zu bleiben, sollte dein Hund wissen, dass er an deiner Seite und an deiner Leine „sicher“ ist und nicht selbst handeln muss. In dieser Sicherheitszone muss er sich also nicht mit anderen Hunden auseinandersetzen, sich beschnüffeln oder bedrängen lassen – da kann er dir vertrauen, dass du dich um seine Sicherheit kümmerst. Denn nur dann kann er sich selbst zurücknehmen und entspannen.Wenn du den Kontakt an der Leine jedoch generell einfach zulässt, woher soll dein Hund dann wissen, dass er mit dem einen Hund an der Leine Kontakt aufnehmen soll (also trotz Leine selbst verantwortlich ist), er aber den nächsten, der euch entgegen kommt, bitte links liegen lassen soll? Richtig! Dein Hund kann das nicht unterscheiden!
5. Die Erwartungshaltung
Er erwartet also mit JEDEM euch entgegen kommenden Hund erstmal, dass es „sein Job“ ist. Was zwangsweise natürlich bedeutet: Sobald ein anderer Hund auftaucht, wird alles andere unwichtig, seine Aufregung steigt und du wirst zur Nebensache – die volle Aufmerksamkeit gilt nur noch dem anderen Hund!Und dann solltest du dich auch nicht darüber wundern wenn dein Hund die Situationen so regelt, wie er sie für richtig hält… – er sieht es schließlich als seine Aufgabe. Er ist gezwungen, bereits von weitem mit dem Kommunizieren anzufangen, um die Situation bestmöglich für ihn zu klären. Und viele Hunde merken recht schnell: „Angriff ist die beste Verteidigung!“ – Hier haben wir sie, die schon in meinen vorangegangenen Blogbeiträgen behandelte Leinenaggression.
6. Die Leinenaggression
Und sie hilft, schließlich hält das Theater an der Leine den anderen Hund auf Abstand.Würden alle Hunde lernen, dass sie an der Leine nicht mit anderen Hunden kommunizieren sollen und müssen, wären Leinenaggressionen eine absolute Seltenheit und nicht eins der häufigsten Probleme aller Hundehalter.Übrigens ist es mit anderen Verhaltensweisen wie Hinlegen und Hinziehen zum anderen Hund in vielen Fällen ganz ähnlich. Was nach dem großen Wunsch nach Kontakt aussieht, hat oft ganz andere Hintergründe. Es wurde nur erlernt, dass dieses Verhalten in der Situation das Bestmögliche ist…
7. Sozialkontakt ist wichtig
Richtig, GUTER Sozialkontakt ist wichtig. Aber Experten sind sich inzwischen auch einig: Lieber kein Sozialkontakt als schlechter Sozialkontakt. Aus all den aufgeführten Gründen können wir beim Leinenkontakt nicht gerade von gutem Sozialkontakt ausgehen, oder?Zudem gibt es viele Situationen, in denen Sozialkontakt nicht möglich oder nicht erwünscht ist. Vielleicht hat der andere Hund Angst oder möchte schlichtweg keinen Kontakt, ist krank oder verletzt oder läufig, vielleicht hat der Besitzer gerade keine Zeit oder oder oder…Dann ist es deutlich schöner für alle Beteiligten, wenn dein Hund gelernt hat, sich auch in Anwesenheit eines anderen Hundes entspannt an dich zu halten. Es ist übrigens ein Irrglaube, dass dein Hund ständig Sozialkontakt haben sollte, möglichst mit jedem Hund, der euch so begegnet (und damit „rudelfremd“ ist). Und sei dir sicher: Der wichtigste Sozialkontakt für deinen Hund bist erstmal du! Aber natürlich hat der innerartliche Sozialkontakt auch, je nach Charakter des Hundes, einen entsprechenden Stellenwert und kann das Leben deines Hundes bereichern. Ausschlaggebend ist hier, wie du die Begegnungen mit anderen Hunden gestaltest.
8. Fazit
Zusammenfassend spricht also alles gegen den Leinenkontakt. Es gibt viele gute Gründe dagegen, jedoch keinen einzigen Grund dafür! Und du weißt nun auch, dass es nicht nur um das „Spielen“ an der Leine geht, sondern dass „Kontakt“ spätestens bei Unterschreitung der Individualdistanz deines Hundes oder des anderen Hundes beginnt. Und ja, natürlich gibt es Ausnahmen: Zum Beispiel der Einsatz einer Leine bei gezielten Hundebegegnungen im Hundetraining. Hier sprechen wir jedoch von einer Absicherung an lockerer Leine durch einen Experten im Kontakt mit einem anderen Hund (nach vorheriger Freigabe). Das hat nichts mit den Situationen zu tun, die du im Alltag mit deinem Hund erlebst.Und ich möchte es nochmal betonen: Natürlich darf dein Hund alle Sozialkontakte haben, die ihr euch wünscht – eben nur nicht an der Leine!
9. Also einfach Leinen los?
Natürlich ist Ableinen allein schon aus Sicherheitsgründen nicht immer und überall möglich. Zudem sollte immer erst mit dem anderen Hundehalter abgesprochen werden, ob und wie Kontakt erwünscht ist oder auch nicht. Die Hunde dann bereits auf große Distanz abzuleinen und für den Kontakt freizugeben, ist übrigens gar nicht so empfehlenswert. Denn ein frontales Zusammentreffen der Hunde findet dabei unter viel größerer Erregung und mit mehr Energie statt als es vielen Hunden und Begegnungen gut tut. Zudem bliebe damit immer noch die Erwartungshaltung „Ein anderer Hund taucht auf, vielleicht werde ich gleich abgeleint.“ und damit auch die erhöhte Aufregung.
10. Sozialkontakt ja gerne! Aber richtig…
Deswegen folgende Empfehlung:Bevor du deinen Hund mit einem euch entgegen kommenden Hund kommunizieren lässt, lauft doch erst ein Stück gemeinsam – jeder Hund bei seinem Menschen. Das bietet den Hunden die Möglichkeit, sich auf Distanz bereits ein wenig einzuschätzen. Du wirst sehen: Wenn du deinen Hund erst dann ableinst und freigibst, wenn sich die Aufregung bei beiden Hunden bereits gelegt hat, ist die Begegnung viel entspannter und schöner.Übrigens: Der Platz an deiner Seite sollte natürlich auch ohne Leine Sicherheitszone bleiben.
Ich behaupte: Würden sich mehr Hundebesitzer daran halten,wäre das Leben vieler Menschen und deren Hunde deutlich entspannter!
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